Der Tod

Als ich vor der großen, marmornen Tür stand, wusste ich zuerst nicht: Sollte ich mich fürchten? Aber es ging ein warmes Licht von der Tür aus. Ich öffnete sie langsam und trat ein. Ich fand mich in einem riesigen Raum wieder, in dem ich keine Lichtquelle sah, es aber trotzdem nicht dunkel war. Am anderen Ende des Raumes stand eine Person, in einen dunklen Mantel gehüllt.

"Hallo!" rief die Person leise. Ich näherte mich ihr.

"Wer bist du?" fragte ich neugierig und ängstlich zugleich.

"Ich? Ich weiß nicht, ob du das wissen möchtest..."

"Ich will es wissen!" Ich starrte die junge Frau an, die mir gegenüber stand. Es ging ein seltsames Strahlen von ihr aus.

"Sag es!" bat ich noch einmal.

"Ich bin der Tod." kam es zurück. Erschrocken wich ich zurück.

"Du? Ich... bin ich tot?" stammelte ich entsetzt.

"Nein." antwortete sie mit einem warmen Lächeln.

"Wieso rede ich mit dir? Was soll das?" fragte ich angstvoll.

"Du hast doch Angst bekommen. Ich hätte es dir nicht sagen sollen."

Ich versuchte, mich zu beherrschen und setzte mich auf den Steinboden, der ganz warm war.

"Du bist bereit, mich anzuhören?" fragte der Tod erstaunt.

Ich nickte.

"Alle vor dir sind geflohen." erzählte die junge Frau und setzte sich zu mir.

Ich sagte nichts darauf.

"Nun gut. Du wunderst dich sicher, wieso du hierher gekommen bist. Ich kann dir sagen: Mich finden nur die, die mich nicht suchen."

Ich sah sie an. Ich verstand ihre Worte. Man fand sie nicht, wenn man sie erbat. Ja.

"Mein kleines Menschenmädchen. Du weißt nicht, was du sagen sollst. Ich bin wirklich und echt."

"Du bringst den Menschen den Tod?" fragte ich fassungslos.

"Nein! Wie kann ich mich selbst bringen?" fragte sie zurück.

"Was tust du dann?"

"Nichts. Ich bin es einfach. Ich bin der Tod. Nichts anderes. Ich verkörpere ihn..."

Mit einem Blick in mein verständnisloses Gesicht fügte sie seufzend hinzu: "Du verstehst nicht."

"Doch! Das heißt - ich versuche es ja." gestand ich verlegen.

"Nun gut. Es ist euch Menschen unverständlich, dass man nichts tut und nur etwas ist. Aber so ist die Realität! Ich bin so und viele andere meiner Sorte ebenfalls. Wir existieren. Wäre ich zerstört, gäbe es nichts mehr. Die Menschen könnten nicht mehr sterben. Kannst du dir das Ausmaß dieser Katastrophe vorstellen? Alle würden leiden, niemand würde erlöst." Sie sah mich ernst an.

Ich nickte. Ich verstand sie.

"Es geht nicht mehr, wenn ein Glied der Kette fehlt. Ich bin notwendig."

"Kannst du bestimmen, wer stirbt?" fragte ich.

"Oh nein. Es geht der, dessen Zeit vorüber ist. Das liegt nicht in meiner Hand."

"In wessen denn?" fragte ich.

Sie lächelte. "Das weiß niemand, nicht einmal ich. Die Menschen suchten mich früher, weil sie dachten, ich könnte ihnen ewiges Leben verleihen. Das kann ich nicht."

"Wieso wolltest du mit einem Menschen sprechen? Wieso brauchst du jemanden, der dich anhört?"

"Ich brauche jemanden, der das Gefühl, das du gerade hast, in deine Welt mitnimmt. Das Gefühl, das nicht mehr von der Furcht beherrscht wird. Die Menschen müssen verstehen, dass ich - der Tod - notwendig fürs Leben bin. Geh hinaus und sage ihnen all das!"

Ich nickte.

Plötzlich löste sich der Körper vor mir auf und ich wurde geblendet. Als ich die Augen aufschlug, saß ich in meinem Zimmer auf dem Boden...

(eingeschickt von Samira, danke!)

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